Die
deutschen Sprachgruppen in Friaul – Julisch Venetien
(Auszug aus „Minderheiten im Alpen-Adria-Raum“,
hrsg. von ISIG)
Im Friaul waren im Mittelalter deutsche Siedlungen ziemlich weit
verbreitet, vor allem durch die Eroberung und den Einfluss der herrschenden
Klassen, des Adels und des Klerus’. Die deutsche Kultur und
Sprache blieben allerdings fast ausschließlich auf die oberen
Klassen beschränkt (Adlige, Prälaten, Hof der Patriarchen
von Aquileia) und durchdrangen nicht das Leben des Volkes. Spuren
davon finden wir fast ausschließlich in den Ortsnamen, die
in einigen Fällen die Ansiedlung von Adelsfamilien und deren
Schlössern wieder spiegelt.
Allerdings waren auch die deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen
mehr oder weniger stark südlich der Alpen verbreitet, und zwar
in unserer Region konkret in drei Gebieten: Sauris/Zahre, in der
nördlichen Carnia an der Grenze zum Cadore, Timau/Tischlbong,
das seit 1813 zur Gemeinde Paluzza auch in Carnia gehört, und
das Kanaltal von Pontebba bis Tarvis.
Die soziolinguistische Situation in Zahre
Die Ansiedelung der deutschen Kolonie in Zahre geht nach der am
stärksten durch linguistische Studien belegten Meinung auf
das 13. Jahrhundert zurück, wobei die Siedler ursprünglich
aus dem Lesachtal in der Nähe der Grenze zwischen Tirol und
Kärnten kamen. Wahrscheinlich wanderten (oder flüchteten)
die Anwohner aus und ließen sich in Zahre nieder - wie später
auch in Sappada, das heute in der Provinz Belluno liegt –
wo sie Bergbau betrieben.
Mindestens bis Anfang dieses Jahrhunderts scheint die Haupteigenschaft
dieser Gemeinschaft der „normale“ Erwerb eines dreisprachigen
Wortschatzes gewesen zu sein, nämlich Sauranisch (den deutschen
Dialekt), Friulanisch und Italienisch, deren Institutionalisierung
und gegenseitige Ergänzung in der tatsächlichen sprachlichen
Verwendung klar und deutlich waren, denn der deutsche Dialekt hatte
rein gemeinschaftsinterne Funktionen, während die anderen beiden
Sprachen überwiegend außerhalb der Gemeinschaft verwendet
wurden.
Schon seit den 30er Jahren beginnt allerdings das Friulanische,
sich auch als Sprachcode in den Familien auch mit den Kindern im
Vorschulalter auf Kosten der sprachlichen Verbreitung des Sauranischen
stärker zu verbreiten.
Die Abwanderung der Bevölkerung aus dem Gebirge betraf auch
die Gemeinde Zahre, deren Einwohneranzahl sich schrittweise verringerte:
1961 gab es nur 761 Einwohner, 1981 waren es nur noch 577 und 1991
466.
Die geringere Einwohneranzahl, die Verlängerung der Schulpflicht
bis zum dritten Jahr der Mittelschule in den 60er Jahren und die
Verbreitung der Massenkommunikation haben den Verbreitungsprozess
noch weiter eingeengt, den es neben dem der Nicht-Verbreitung gab,
dieses Mal allerdings auf Kosten beider „regionaler“
Sprachkomponenten: Das normale Kommunikationsmedium der Jugendlichen
war gegen Ende der 80er Jahre fast ausschließlich Italienisch.
In derselben Zeit konnten mindestens 300 Personen noch Sauranisch
sprechen, wobei der Dialekt allerdings keinerlei externe Kommunikationsfunktion
mehr für die kleine Sprechergemeinschaft hat. Das Sauranische
könnte aussterben, weil die neuen Generationen den Dialekt
nicht lernen, die Sprecher seine Verwendung aufgeben und weil es
nach Denison eine „totale funktionale Atrophie“ aufweist,
d. h. seine – wenn auch begrenzten - unterscheidenden Merkmale
innerhalb der Gemeinschaft verloren hat.
Die soziolinguistische Situation in Tischlbong
Auch für die Siedlung in Tischlbong scheint es wahrscheinlich,
dass die ersten deutschen Einwohner Bergarbeiter waren, die ursprünglich
aus dem nahen Kärnten gekommen waren und sich in der Gegend
gegen Ende des 13. Jahrhunderts niedergelassen hatten, um Bergbau
zu betreiben.
Tischlbong und Casali Sega sind die Ortschaften, die zur Gemeinde
Paluzza gehören und in denen sich traditionell die Sprecher
des Tischlbongerischen niederließen. Auch hier gab es, wie
in der gesamten Gebirgsregion, einen beachtlichen Bevölkerungsrückgang:
Vor 1969 schätzte Wurzer noch 1200 Einwohner, bei der Volkszählung
1971 wurden 800 Einwohner gezählt, bei der von 1981 waren es
rund 700 und 1991 nur noch 646. In jedem Fall muss betont werden,
dass nicht alle Einwohner auch Tischlbongerisch sprechen.
Auch im Fall von Tischlbong ist der traditionelle Sprachenschatz
dreisprachig, nämlich Tischlbongerisch, Friulanisch und Italienisch,
und diese Dreisprachigkeit ist noch heute aktiver Wortschatz der
Bevölkerungsmehrheit (fast 64 %).
Eine nähere Analyse zeigt allerdings, dass die volle und ausgewogene
Beherrschung der drei Sprachen und ihrer jeweiligen Funktionsbereiche
überwiegend bei den Erwachsenen zu finden ist, während
sich unter den Jugendlichen das Italienische als Alltagssprache
immer mehr durchsetzt, mit einer schnellen Aufgabe des Tischlbongerischen
und einer relativen Beständigkeit des Friulanischen.
Auch von den Jugendlichen, die sich als dreisprachig erklären,
erkennen nicht wenige an, die lokale und regionale Sprache nicht
kontinuierlich zu verwenden, sondern nur bei besonderen Anlässen
oder Umständen zu sprechen.
Hinsichtlich der Faktoren, die die fehlende sprachliche Reproduktion
beeinflussen, betont Francescato insbesondere die Rolle der „gemischten“
und „unreinen“ Familien, in denen einer der Ehepartner/Elternteile
der heutigen oder älteren Generation aus einem anderen Sprachgebiet
kommt und das Tischlbongerische nicht kennt, so dass die Verwendung
des Friulanischen oder Italienischen als Kommunikationscode in der
Familie gefördert wird.
Neben diesem Faktor wird auch die Dimension der Legitimierung betont,
die oft mit dem ersten Faktor zusammenwirkt, was dazu führt,
dass viele Familien gegen eine erste sprachliche Sozialisierung
der Kinder auf Tischlbongerisch sind, als Reaktion auf Bedürfnisse
und Anregungen zugunsten des Italienischen, die aus dem Schulbereich
kommen.
Zu den Faktoren der Nicht-Reproduktion gehört auch in starkem
Ausmaß die örtliche schulische Organisation, denn die
immer weniger werdenden und immer weniger Tischlbongerisch sprechenden
Kinder aus Tischlbong sind fast ununterbrochen mit ihren Friulanisch
sprechenden Mitschülern zusammen.
Die deutsche Sprachgruppe im Kanaltal
Ansiedlungen im Tal des Flusses Fella gab es wahrscheinlich schon
zur Zeit der Römer, angesichts der Tatsache, dass das Gebiet
ein Teil der Via Iulia Augusta war. Genau das rechtfertigt die Meinung
von vorhandenen und häufigen Kontakten zu den Bevölkerungsgruppen
in Kärnten, auch wenn es zur Situation im hohen Mittelalter
nur wenige Dokumente gibt.
Das Gebiet gehörte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Kirche
von Bamberg, und es kann zu Recht angenommen werden, dass die Kirche
Bevölkerungsgruppen aus Südkärnten in dieses Gebiet
gerufen hat, zuerst slawische Gruppen und später auch deutschsprachige
Siedler. Die Entwicklung des Handels zwischen Österreich und
Venedig förderte nach dem 15. Jahrhundert in diesem Gebiet
die Besiedelung durch Deutsche und eine daraus folgende Verdrängung
der slowenischsprachigen Gruppen in die weniger beliebten Gegenden.
In dem gesamten Gebiet gab es praktisch immer eine deutsch-slowenische
Zweisprachigkeit, und es ist absolut nicht einfach, eine klare Grenzlinie
zu ziehen. Oft herrscht sogar innerhalb einer Gemeinde in einem
Teil eine Sprache und in einem anderen die andere vor. Pellegrini
meint, dass „das überwiegend slowenische Kanaltal im
mündlichen Sprachgebrauch schrittweise durch politische Beziehungen
und Abhängigkeiten eingedeutscht wurde“, während
Colavizzi beobachtet, dass „Italienisch und Friulanisch (...)
vor allem Sprachen des Volkes waren, während das literarische
Deutsch letztendlich durch die deutsche Verwaltung eingeführt
wurde und langsam zu einer Alltagssprache für die Bevölkerung
wurde...". Pellegrini meint ferner, dass die deutschsprachigen
Gruppen vor allem die besten Landwirtschafts- und Bergbauzentren
vereinnahmten, vor allem in Tarvis, Malborghetto und Pontafel (Pontebba
Nuova).
Der deutsche Dialekt, vom kärntnerischen Typ, wurde allerdings
durch die Literatur und das Hochdeutsche und vor allem durch den
formalen Schulunterricht beeinflusst. Seit 1759 gehörte das
Kanaltal zu Österreich, bis es 1919 zu Italien kam. Die offizielle
Sprache war natürlich Deutsch, genau wie die Unterrichtssprache
in den Grundschulen.
Auch nach dem Anschluss an Italien wurde bis 1924 Deutsch weiterhin
an den Schulen unterrichtet, danach wurde Italienisch als Unterrichtssprache
eingeführt. Nach den deutsch-italienischen Abkommen von 1939
wählten über 80 % der Bevölkerung die deutsche Staatsbürgerschaft
und die Hälfte davon zog in den darauf folgenden Jahren nach
Österreich (wobei die Auswanderer normalerweise durch friulanische
Einwanderer ersetzt wurden), während der andere Teil nach dem
Krieg wieder die italienische Staatsbürgerschaft erwarb. In
jedem Fall wurden Deutschkurse für die „Kinder der Einheimischen“,
eingerichtet, „die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft
entschieden“, welche 1946 fortgesetzt wurden.
Sprachlich betrachtet war und ist die Mehrsprachigkeit teilweise
noch heute charakteristisch für dieses Gebiet.
Die Haupteigenschaft des Tals ist „das totale Fehlen von Einsprachigkeit
und sogar das häufige Auftreten einer Mehrsprachigkeit, die
oft die Viersprachigkeit erreicht“ (Deutsch, Slowenisch, Friulanisch
und Italienisch) (Pellegrini).
Was die Größe der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe
betrifft, machte sie 1910 77 % der Gesamtbevölkerung von 8.843
Einwohnern aus (Bonetti), während sie 1937 nach einer ungefähren
Schätzung (Poschinger) rund 60 % der 9.200 Einwohner ausmachte,
was im Gegensatz zu den 82 % stünde, die sich für die
deutsche Staatsbürgerschaft nach 1939 entschieden.
Es gibt keine späteren Schätzungen, sondern nur eine zusammenfassende
Angabe von Barbina, nach dem „die Deutschen des Kanaltals
(...) derzeit eine ziemlich kleine Gruppe von ungefähr 2.000
Personen bilden“.
Die deutsche Sprachgruppe neigt in jedem Fall dazu, ihre sprachliche
und kulturelle Eigenheit aufzuwerten und anerkennen zu lassen, und
in den letzten Jahren wurden kulturelle und sprachliche Beziehungen
und Austauschprogramme mit anderen deutschsprachigen Gemeinschaften
in Norditalien mit der Einrichtung eines Einheitskomitees der deutschen
Sprachinseln in Italien aufgebaut (Lusern – Mai 2002).
|