SPRACHGEMEINSCHAFTEN > DIE DEUTSCHSPRACHIGEN GEMEINSCHAFTEN IN FJV

Riccardo Illy

 

Die deutschen Sprachgruppen in Friaul – Julisch Venetien
(Auszug aus „Minderheiten im Alpen-Adria-Raum“, hrsg. von ISIG)

Im Friaul waren im Mittelalter deutsche Siedlungen ziemlich weit verbreitet, vor allem durch die Eroberung und den Einfluss der herrschenden Klassen, des Adels und des Klerus’. Die deutsche Kultur und Sprache blieben allerdings fast ausschließlich auf die oberen Klassen beschränkt (Adlige, Prälaten, Hof der Patriarchen von Aquileia) und durchdrangen nicht das Leben des Volkes. Spuren davon finden wir fast ausschließlich in den Ortsnamen, die in einigen Fällen die Ansiedlung von Adelsfamilien und deren Schlössern wieder spiegelt.
Allerdings waren auch die deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen mehr oder weniger stark südlich der Alpen verbreitet, und zwar in unserer Region konkret in drei Gebieten: Sauris/Zahre, in der nördlichen Carnia an der Grenze zum Cadore, Timau/Tischlbong, das seit 1813 zur Gemeinde Paluzza auch in Carnia gehört, und das Kanaltal von Pontebba bis Tarvis.

Die soziolinguistische Situation in Zahre
Die Ansiedelung der deutschen Kolonie in Zahre geht nach der am stärksten durch linguistische Studien belegten Meinung auf das 13. Jahrhundert zurück, wobei die Siedler ursprünglich aus dem Lesachtal in der Nähe der Grenze zwischen Tirol und Kärnten kamen. Wahrscheinlich wanderten (oder flüchteten) die Anwohner aus und ließen sich in Zahre nieder - wie später auch in Sappada, das heute in der Provinz Belluno liegt – wo sie Bergbau betrieben.
Mindestens bis Anfang dieses Jahrhunderts scheint die Haupteigenschaft dieser Gemeinschaft der „normale“ Erwerb eines dreisprachigen Wortschatzes gewesen zu sein, nämlich Sauranisch (den deutschen Dialekt), Friulanisch und Italienisch, deren Institutionalisierung und gegenseitige Ergänzung in der tatsächlichen sprachlichen Verwendung klar und deutlich waren, denn der deutsche Dialekt hatte rein gemeinschaftsinterne Funktionen, während die anderen beiden Sprachen überwiegend außerhalb der Gemeinschaft verwendet wurden.
Schon seit den 30er Jahren beginnt allerdings das Friulanische, sich auch als Sprachcode in den Familien auch mit den Kindern im Vorschulalter auf Kosten der sprachlichen Verbreitung des Sauranischen stärker zu verbreiten.
Die Abwanderung der Bevölkerung aus dem Gebirge betraf auch die Gemeinde Zahre, deren Einwohneranzahl sich schrittweise verringerte: 1961 gab es nur 761 Einwohner, 1981 waren es nur noch 577 und 1991 466.
Die geringere Einwohneranzahl, die Verlängerung der Schulpflicht bis zum dritten Jahr der Mittelschule in den 60er Jahren und die Verbreitung der Massenkommunikation haben den Verbreitungsprozess noch weiter eingeengt, den es neben dem der Nicht-Verbreitung gab, dieses Mal allerdings auf Kosten beider „regionaler“ Sprachkomponenten: Das normale Kommunikationsmedium der Jugendlichen war gegen Ende der 80er Jahre fast ausschließlich Italienisch.
In derselben Zeit konnten mindestens 300 Personen noch Sauranisch sprechen, wobei der Dialekt allerdings keinerlei externe Kommunikationsfunktion mehr für die kleine Sprechergemeinschaft hat. Das Sauranische könnte aussterben, weil die neuen Generationen den Dialekt nicht lernen, die Sprecher seine Verwendung aufgeben und weil es nach Denison eine „totale funktionale Atrophie“ aufweist, d. h. seine – wenn auch begrenzten - unterscheidenden Merkmale innerhalb der Gemeinschaft verloren hat.

Die soziolinguistische Situation in Tischlbong
Auch für die Siedlung in Tischlbong scheint es wahrscheinlich, dass die ersten deutschen Einwohner Bergarbeiter waren, die ursprünglich aus dem nahen Kärnten gekommen waren und sich in der Gegend gegen Ende des 13. Jahrhunderts niedergelassen hatten, um Bergbau zu betreiben.
Tischlbong und Casali Sega sind die Ortschaften, die zur Gemeinde Paluzza gehören und in denen sich traditionell die Sprecher des Tischlbongerischen niederließen. Auch hier gab es, wie in der gesamten Gebirgsregion, einen beachtlichen Bevölkerungsrückgang: Vor 1969 schätzte Wurzer noch 1200 Einwohner, bei der Volkszählung 1971 wurden 800 Einwohner gezählt, bei der von 1981 waren es rund 700 und 1991 nur noch 646. In jedem Fall muss betont werden, dass nicht alle Einwohner auch Tischlbongerisch sprechen.
Auch im Fall von Tischlbong ist der traditionelle Sprachenschatz dreisprachig, nämlich Tischlbongerisch, Friulanisch und Italienisch, und diese Dreisprachigkeit ist noch heute aktiver Wortschatz der Bevölkerungsmehrheit (fast 64 %).
Eine nähere Analyse zeigt allerdings, dass die volle und ausgewogene Beherrschung der drei Sprachen und ihrer jeweiligen Funktionsbereiche überwiegend bei den Erwachsenen zu finden ist, während sich unter den Jugendlichen das Italienische als Alltagssprache immer mehr durchsetzt, mit einer schnellen Aufgabe des Tischlbongerischen und einer relativen Beständigkeit des Friulanischen.
Auch von den Jugendlichen, die sich als dreisprachig erklären, erkennen nicht wenige an, die lokale und regionale Sprache nicht kontinuierlich zu verwenden, sondern nur bei besonderen Anlässen oder Umständen zu sprechen.
Hinsichtlich der Faktoren, die die fehlende sprachliche Reproduktion beeinflussen, betont Francescato insbesondere die Rolle der „gemischten“ und „unreinen“ Familien, in denen einer der Ehepartner/Elternteile der heutigen oder älteren Generation aus einem anderen Sprachgebiet kommt und das Tischlbongerische nicht kennt, so dass die Verwendung des Friulanischen oder Italienischen als Kommunikationscode in der Familie gefördert wird.
Neben diesem Faktor wird auch die Dimension der Legitimierung betont, die oft mit dem ersten Faktor zusammenwirkt, was dazu führt, dass viele Familien gegen eine erste sprachliche Sozialisierung der Kinder auf Tischlbongerisch sind, als Reaktion auf Bedürfnisse und Anregungen zugunsten des Italienischen, die aus dem Schulbereich kommen.
Zu den Faktoren der Nicht-Reproduktion gehört auch in starkem Ausmaß die örtliche schulische Organisation, denn die immer weniger werdenden und immer weniger Tischlbongerisch sprechenden Kinder aus Tischlbong sind fast ununterbrochen mit ihren Friulanisch sprechenden Mitschülern zusammen.

Die deutsche Sprachgruppe im Kanaltal
Ansiedlungen im Tal des Flusses Fella gab es wahrscheinlich schon zur Zeit der Römer, angesichts der Tatsache, dass das Gebiet ein Teil der Via Iulia Augusta war. Genau das rechtfertigt die Meinung von vorhandenen und häufigen Kontakten zu den Bevölkerungsgruppen in Kärnten, auch wenn es zur Situation im hohen Mittelalter nur wenige Dokumente gibt.
Das Gebiet gehörte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Kirche von Bamberg, und es kann zu Recht angenommen werden, dass die Kirche Bevölkerungsgruppen aus Südkärnten in dieses Gebiet gerufen hat, zuerst slawische Gruppen und später auch deutschsprachige Siedler. Die Entwicklung des Handels zwischen Österreich und Venedig förderte nach dem 15. Jahrhundert in diesem Gebiet die Besiedelung durch Deutsche und eine daraus folgende Verdrängung der slowenischsprachigen Gruppen in die weniger beliebten Gegenden.
In dem gesamten Gebiet gab es praktisch immer eine deutsch-slowenische Zweisprachigkeit, und es ist absolut nicht einfach, eine klare Grenzlinie zu ziehen. Oft herrscht sogar innerhalb einer Gemeinde in einem Teil eine Sprache und in einem anderen die andere vor. Pellegrini meint, dass „das überwiegend slowenische Kanaltal im mündlichen Sprachgebrauch schrittweise durch politische Beziehungen und Abhängigkeiten eingedeutscht wurde“, während Colavizzi beobachtet, dass „Italienisch und Friulanisch (...) vor allem Sprachen des Volkes waren, während das literarische Deutsch letztendlich durch die deutsche Verwaltung eingeführt wurde und langsam zu einer Alltagssprache für die Bevölkerung wurde...". Pellegrini meint ferner, dass die deutschsprachigen Gruppen vor allem die besten Landwirtschafts- und Bergbauzentren vereinnahmten, vor allem in Tarvis, Malborghetto und Pontafel (Pontebba Nuova).
Der deutsche Dialekt, vom kärntnerischen Typ, wurde allerdings durch die Literatur und das Hochdeutsche und vor allem durch den formalen Schulunterricht beeinflusst. Seit 1759 gehörte das Kanaltal zu Österreich, bis es 1919 zu Italien kam. Die offizielle Sprache war natürlich Deutsch, genau wie die Unterrichtssprache in den Grundschulen.
Auch nach dem Anschluss an Italien wurde bis 1924 Deutsch weiterhin an den Schulen unterrichtet, danach wurde Italienisch als Unterrichtssprache eingeführt. Nach den deutsch-italienischen Abkommen von 1939 wählten über 80 % der Bevölkerung die deutsche Staatsbürgerschaft und die Hälfte davon zog in den darauf folgenden Jahren nach Österreich (wobei die Auswanderer normalerweise durch friulanische Einwanderer ersetzt wurden), während der andere Teil nach dem Krieg wieder die italienische Staatsbürgerschaft erwarb. In jedem Fall wurden Deutschkurse für die „Kinder der Einheimischen“, eingerichtet, „die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden“, welche 1946 fortgesetzt wurden.
Sprachlich betrachtet war und ist die Mehrsprachigkeit teilweise noch heute charakteristisch für dieses Gebiet.
Die Haupteigenschaft des Tals ist „das totale Fehlen von Einsprachigkeit und sogar das häufige Auftreten einer Mehrsprachigkeit, die oft die Viersprachigkeit erreicht“ (Deutsch, Slowenisch, Friulanisch und Italienisch) (Pellegrini).
Was die Größe der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe betrifft, machte sie 1910 77 % der Gesamtbevölkerung von 8.843 Einwohnern aus (Bonetti), während sie 1937 nach einer ungefähren Schätzung (Poschinger) rund 60 % der 9.200 Einwohner ausmachte, was im Gegensatz zu den 82 % stünde, die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft nach 1939 entschieden.
Es gibt keine späteren Schätzungen, sondern nur eine zusammenfassende Angabe von Barbina, nach dem „die Deutschen des Kanaltals (...) derzeit eine ziemlich kleine Gruppe von ungefähr 2.000 Personen bilden“.
Die deutsche Sprachgruppe neigt in jedem Fall dazu, ihre sprachliche und kulturelle Eigenheit aufzuwerten und anerkennen zu lassen, und in den letzten Jahren wurden kulturelle und sprachliche Beziehungen und Austauschprogramme mit anderen deutschsprachigen Gemeinschaften in Norditalien mit der Einrichtung eines Einheitskomitees der deutschen Sprachinseln in Italien aufgebaut (Lusern – Mai 2002).